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Schweizer Gletscherlandschaften im Klimawandel: drei HauptAutoren im Interview

Dass unsere Gletscher Jahr für Jahr mehr schwinden, ist ein trauriger Fakt. Die Autoren Andreas Wipf, Samuel U. Nussbaumer, Horst Machguth und Heinz J. Zumbühl haben es sich in ihrem Buch «Schweizer Gletscherlandschften im Klimawandel» zur Aufgabe genommen, über den Wandel der Gletscherlandschaften aufzuklären und diesen mit Panoramafotovergleichen zu visualisieren. In dem bildreichen Werk findet sich neben dem aktuellen Geschehen, sowohl ein historischer Teil als auch ein Ausblick in die Zukunft und auf andere Kontinente.

Nachfolgend haben uns drei der Autoren einige Fragen zum Buch, zu dessen Entstehungsgeschichte und zu Ihrer Arbeit und Ihrer Faszination an Gletschern beantwortet.

Wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre.


2024_Geltengletscher_(c)Andreas Wipf
Geltengletscher bei Lauenen, 2006.
2006_Geltengletscher_(c)Andreas Wipf
Der Geltengletscher im Jahr 2024.

 

Wipf, Andreas; Nussbaumer, Samuel U.; Machguth, Horst; Zumbühl, Heinz J.
Schweizer Gletscherlandschaften im Klimawandel Book

CHF 48.00 CHF 40.80*

Woher kommt Ihre Faszination fürs Thema Gletscher(landschaften)?

Samuel U. Nussbaumer (SN): Ich war schon als kleines Kind fasziniert von den Gletschern und habe schöne Erinnerungen an die Besuche des in den 1980er-Jahren noch vorstossenden Oberen Grindelwaldgletschers. Später während meinem Studium wollte ich mehr wissen und verstehen über das komplexe Zusammenspiel zwischen Gletscher und Klima. Viel gelernt habe ich auch auf einer Gletscher-Forschungsstation in Nordschweden.

Horst Machmuth (HM): Ich weiss es nicht genau. Ich war immer fasziniert von Karten, und Karten von vergletscherten Gebirgen waren besonders spannend. Die Faszination für die Erforschung der Gletscher kam erst während meines Studiums. Selbst dann dachte ich noch, Dinge wie der Grönländische Eisschild seien langweilig. Als ich dann das erste Mal auf dem Eisschild war, um Messungen vorzunehmen, sah ich, dass ich mich sehr geirrt hatte.

Andreas Wipf (AW): Die leuchtenden Gletscher mit ihren eindrücklichen Spalten und Gletschertoren, die urtümlichen Gletschervorfelder mit ihren Moränenablagerungen, die Zeugen von grösseren Gletscherausdehnungen sind, und die verzweigten Schmelzwasserläufe haben mich schon immer in ihren Bann gezogen.
Mit dem Geografiestudium an der Uni Zürich habe ich dann viel über diese Hochgebirgslandschaften erfahren und Zusammenhänge verstehen gelernt. Dabei haben mich v.a. die historischen Gletscheraufnahmen, als die Gletscher noch viel grösser waren, fasziniert. So war es für mich naheliegend, mich insbesondere mit der Diplomarbeit auf das Thema Gletscher zu fokussieren. Auch seither zieht es mich immer wieder zu den Gletschern, sei es auf Wanderungen und Hochtouren oder einfach zum Fotografieren.

Wann und wo haben sich ihre Wege im Autoren-Team gekreuzt?

SN: Man kennt sich unter Glaziolog:innen, vor allem in der kleinen Schweiz, und wir haben auch schon früher zusammengearbeitet, zum Teil über Jahrzehnte. Es war daher schön, mit dem vorliegenden Buch ein weiteres Werk realisieren zu können. Natürlich ist es auch anregend im Team, da jeder verschiedene Ideen einbringt, und wir uns ergänzen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, gerade diesen Bild-Textband zu erschaffen und wie gestaltete sich die Zusammenarbeit untereinander?

AW: Drei der Autoren hatten gerade einen wissenschaftlichen Beitrag über die Gletscher der Jungfrau-Region für ein gesamtschweizerisches Werk über die Landschaften der Schweiz beendet, als Heinz J. Zumbühl anmerkte, wir sollten doch einmal eine Publikation über Panoramen in Angriff nehmen. Dazu gibt es einerseits aus historischer Sicht hervorragendes Bildmaterial und andererseits haben sich bei mir weit über Tausend Panoramen angesammelt.

Schnell war klar, dass das Buchprojekt etwas mit Gletschern zu tun haben sollte und die Fotos im Vordergrund stehen sollten. Wir haben uns dann inhaltlich aufgeteilt, sodass jeder seinen (Forschungs-/Wissens-)Schwerpunkt einbringen konnte.

Wie gestaltete sich das fotografische Festhalten der Gletscherveränderungen? Haben Sie die Gletscher jährlich immer etwa im gleichen Zeitraum besucht und abgelichtet oder wie sind Sie da vorgegangen?

AW: Meine ersten Gletscheraufnahmen entstanden Ende der 1980er-Jahre auf Bergtouren. Etwa zur gleichen Zeit, seit dem Beginn meiner Diplomarbeit über die Gletscher im Hinteren Lauterbrunnental, fotografiere ich dort die Gletscher jedes Jahr. So sind mittlerweile bis 35 Jahre lange ununterbrochene Zeitreihen entstanden.
Da ich viel in den Bergen auf Wanderungen und Hochtouren unterwegs bin, fotografierte ich die faszinierenden Gletscher und ihre Vorfelder laufend. Oft habe ich – wenn ich wieder in derselben Region unterwegs war – Aufnahmen vom gleichen Standort wiederholt.

Für das Buch habe ich mich auf digitale Fotos, die ab 2005 entstanden sind, beschränkt. In meinem Fundus musste ich dann zuerst für das Buch geeignete Aufnahmen heraussuchen. Anschliessend bin ich mit Ausdrucken ins Gelände gegangen und habe die damaligen Aufnahmestandorte gesucht. 

Wie haben Sie denn dieselben Standorte wiedergefunden? Und was muss man bei dieser fotografischen Dokumentation beachten?

AW: Da die meisten früheren Aufnahmen ohne Absicht für spätere Vergleichsaufnahmen entstanden sind, war das Auffinden nicht immer so einfach. Mit Horizontverschneidungen zwischen Vorder- und Hintergrund, markanten Felsen oder Steinen im Vordergrund tastete ich mich jeweils an den früheren Aufnahmestandort heran. Damit man die Gletscher gut vergleichen konnte, mussten die Aufnahmen in der Zeit der grössten Ausaperung, also ohne grosse Schneebedeckung, gemacht werden, und schönes Wetter musste es natürlich auch sein.

Das Erstellen von Panoramavergleichsaufnahmen aus einzelnen Fotografien war dann eine weitere Herausforderung, denn die Aufnahmen aus den verschiedenen Jahren sollten ja möglichst den gleichen Inhalt zeigen. Im Idealfall lassen sich so die Aufnahmen «überblenden».

2010_Wetterlueckengletscher_(c)Andreas Wipf
Wetterlückengletscher am Nordhang der Berner Alpen, 2010. 
2024_Wetterlueckengletscher_(c)Andreas Wipf
Derselbe Gletscher oder was von ihm übrig ist im Jahr 2024.

Wie können die Veränderungen der Gletscherlandschaften neben der Fotografie sonst noch festgehalten und dokumentiert werden?

SN: Um Gletscherveränderungen im grossen Massstab festzustellen, können wir Satellitendaten auswerten. Diese sind global verfügbar und viele Daten sind frei zugänglich. Damit können wir praktisch alle Gletscher der Welt – das sind etwa 275'000 Gletscher! – beobachten. Eine weitere Möglichkeit wäre die Beobachtung der Gletscherlandschaften mittels Drohnen, vor allem, wenn man viele Details aufnehmen möchte.

AW: Neben den Methoden zur aktuellen Beobachtung können für die Analyse von früheren Gletscherausdehnungen Spuren der Gletscher im Gelände kartiert und zeitlich eingeordnet werden (z.B. mit Datierungen von Moränenwällen). Seit dem Mittelalter können auch Schrift- und Bildquellen Auskunft über die einstigen Gletscherdimensionen geben.

HM: Ebenfalls lassen sich das Gletscher-Mikroklima und die Beschaffenheit von Gletschern sowie deren Veränderungen vor Ort mittels verschiedenster Messeinrichtungen beobachten. Zum Beispiel lassen sich aus Eiskernen umfangreiche Daten über vergangene Klimaschwankungen gewinnen.

Was kann ich aktiv gegen den Gletscherschwund unternehmen? 

SN: Gletscher reagieren sehr sensitiv auf Änderungen des Klimas. Die Temperatur ist dabei entscheidend, daher gilt es, die globale Erwärmung zu begrenzen, konkret den weiteren Treibhausgasausstoss markant zu verringern. Man muss sich des Problems bewusst sein, selber entsprechend handeln (z.B. weniger Flugreisen unternehmen) und als Gemeinschaft nach Lösungen suchen.

Gibt es auch Gletscherlandschaften (in der Schweiz oder weltweit) denen es vergleichsweise gut geht?

SN: Hier müssen wir präzisieren, was man unter Gletscherlandschaften versteht. In unserem Buch sind damit die Gletscher, aber auch ihre Vorfelder, gemeint. Den Schweizer Gletschern selber geht es – leider – allen «schlecht», sie verlieren jedes Jahr deutlich an Masse. Weltweit gibt es aber in der Tat Gebiete, wo die Gletscher nur sehr langsam reagieren und daher auch heute noch sehr mächtig sind. Auch gibt es Gebiete, z.B. in der Antarktis, wo durch verstärkte Akkumulation (mehr Niederschlag) sogar ein Massenzuwachs zu verzeichnen ist.

Welche Auswirkungen hat der Rückgang der Gletscher auf das Leben auf der Erde?

SN: Auswirkungen der Gletscherschmelze sind auf verschiedensten Ebenen zu beobachten. Auf globaler Ebene stellen wir einen Anstieg des Meeresspiegels (über 1 mm pro Jahr) fest. Regional oder auch lokal ändert sich die Verfügbarkeit von Wasserressourcen, in vielen Gebieten fehlt im Sommer das dringend benötigte Wasser. Durch den Gletscherwandel kann es ausserdem zu neuen Gefahrensituationen (z.B. Gletscherseeausbrüchen) kommen, was zu einer direkten Bedrohung für uns werden kann. 

2008_Gauli_(c)Andreas Wipf
Gauligletscher in den östlichen Berner Alpen, 2008.
2022_Gauli_(c)Andreas Wipf
Der Gauligletscher im Jahr 2022.

Haben Sie einen Lieblingsgletscher? Und falls ja, warum genau dieser?

AW: Da ich seit 1989 die kleineren Gebirgsgletscher im Hinteren Lauterbrunnental jedes Jahr aufsuche und dort Ende der 1980er- und zu Beginn der 1990er-Jahre etliche Sommer in der Schmadrihütte verbracht hatte, sind mir diese Gletscher natürlich ans Herz gewachsen. Leider sind sie seither massiv abgeschmolzen und haben dadurch einiges von ihrer ursprünglichen Schönheit verloren.

Welche Botschaft(en) möchten Sie mit ihrem Buch vermitteln?

AW: Das Buch soll einerseits aufzeigen, was für schöne Hochgebirgslandschaften wir in der Schweiz immer noch haben und andererseits, was durch den Klimawandel bereits verloren gegangen ist und was noch verloren gehen kann.

SN: Ausserdem erklären wir im Buch, wie und warum die Gletscher auf Änderungen des Klimas reagieren, und wir bringen viele interessante aktuelle Forschungsresultate zu den präsentierten Gletschern. Wir hoffen, damit auch einen Einblick in die aktuelle Gletscherforschung zu geben.

Und zum Schluss: Haben Sie ein besonderes Erlebnis in Verbindung mit Gletschern oder dem Klimawandel, das Sie geprägt hat und das Sie hier mit uns teilen möchten?

AW: Prägend waren alle Abstecher in die vergletscherten Hochgebirgslandschaften. Spontan kommt mir da der Triftgletscher beim Sustenpass in den Sinn. Als ich in den 1990er-Jahren zur Trifthütte aufstieg, führte der Weg über die flache Gletscherzunge. Davor musste man aber schon einige Dutzend Höhenmeter über eine Leiter absteigen, wo früher das Eis noch «ebenerdig» betreten werden konnte. Als ich dann etwa 15 Jahre später wieder dorthin ging, hat es mich fast «aus den Socken gehauen», denn nun war anstelle der Gletscherzunge ein riesiger See entstanden und der Hüttenaufstieg verlief neu über eine Hängebrücke.

Oder gerade diesen Herbst konnte ich beim Breithorngletscher im Hinteren Lauterbrunnental eine neue Passage abschreiten, die bis vor kurzem noch eisbedeckt war. Als ich dann Richtung ehemaligem Gletscherrand, also zur Zeit, als ich mit meinen Untersuchungen begonnen hatte, hochschaute, konnte ich den massiven Mächtigkeitsverlust in dieser kurzen Zeit fast nicht glauben. Das tat schon sehr weh.

Trotzdem wird es mich auch in Zukunft weiterhin zu den Gletschern ziehen. Die Faszination bleibt!


Alle Fotos stammen von Andreas Wipf.


Andreas Wipf ist ein erfahrener (Panorama-)Fotograf von Hochgebirgslandschaften und Autor von Wanderbüchern zu den Schweizer Gletschern. Er studierte Geographie und promovierte an der Universität Zürich über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gletscher der Berner Alpen seit 1850. Anschliessend beschäftigte er sich mit der Inventarisierung der Gletschervorfelder und alpinen Auen, um sie in das Bundesinventar der Auengebiete zu integrieren. Heute arbeitet er hauptberuflich als GIS-Spezialist bei den Schweizer Wanderwegen.

Dr. Samuel U. Nussbaumer ist als Postdoc am World Glacier Monitoring Service und Geografischen Institut der Universität Zürich tätig.

Horst Machguth ist Professor am Departement für Geowissenschaften der Universität Fribourg. Aktuell ist er Träger eines prestigeträchtigen ERC Grants, in dessen Rahmen er die Auswirkungen des Klimawandels auf den grönländischen Eisschild erforscht und dazu auch mehrwöchige Feldkampagnen in Nordgrönland verantwortet. Nach seinem Studium in Geographie und anschliessender Dissertation an der Universität Zürich hat er seine Faszination für Grönland durch einen Forschungsaufenthalt am Geological Survey of Denmark and Greenland entdeckt.

Heinz J. Zumbühl ist emeritierter Professor für Geografie der Universität Bern und bekannter Gletscherhistoriker.