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«Der Steinadler»: HauptAutor David Jenny im Interview

Kaum eine andere Vogelart fliegt majestätischer durch die Lüfte und wird mehr bewundert als der Steinadler. Seine Größe und sein «Charakterkopf» beeindrucken - nicht umsonst ziert er zahlreiche Wappen und wird mit Stärke sowie Freiheit assoziiert. Dieses Image ist ihm allerdings nicht immer gut bekommen: Noch bis weit ins 20. Jahrhundert wurde der Steinadler dämonisiert und rigoros bejagt - man unterstellte ihm gar Kinderraub. Kein Wunder, dass die Bestände vielerorts zusammenbrachen. Dank seiner Unterschutzstellung und neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zu seinen Bedürfnissen haben sich die Populationen mittlerweile vollständig erholt, sodass er heute in allen alpinen Lebensräumen und auch in Teilen des Juras zu finden ist.

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Foto: Serge Denis

 

In «Der Steinadler» gewähren David Jenny, Serge Denis und Heinrich Haller Einblick in das Leben und die Biologie des Steinadlers, sein Sozialverhalten und die Entwicklung der Jungvögel mit einem Fokus auf die Schweiz. Es fasst die neuesten Forschungsergebnisse zusammen und zeigt, wie ein Nebeneinander von Steinadler und Mensch im Alpenraum auch in Zukunft funktionieren kann. 20 großformatige Illustrationen von Lea Gredig runden das Werk ab. 

David Jenny erforscht den Steinadler in den Alpen seit 40 Jahren. Im Interview erzählt er uns, woher seine Leidenschaft rührt, wie sich seine Arbeit in dieser Zeit gewandelt hat und was wir alle beachten können, um den Vogel bei Aktivitäten in den Alpen nicht zu stören. Außerdem verrät er uns, wo wir eine besonders gute Chance haben, Steinadler in freier Wildbahn zu erspähen.

Sie erforschen den Steinadler in den Schweizer Alpen seit 40 Jahren. Woher kommt Ihre Leidenschaft für gerade diese Tierart? Und wie kam es dazu, dass Sie ihm zusammen mit Ihren Co-Autoren Heinrich Haller und Serge Denis und der Illustratorin Lea Gredig ein Buch gewidmet haben?

Der Ursprung dieser Leidenschaft bleibt mir selber letztlich weitgehend verborgen. Ich hatte zwar über meinen Vater, der Alpinist war, schon früh Zugang zum Steinadler-Lebensraum in den Bergen, wurde inspiriert von Steinadlerforschern wie Carl Stemmler und Heinrich Haller und hatte in der Jugend auch mein Schlüsselerlebnis. Das alles erklärt aber noch nicht, warum mich der Steinadler lebenslänglich dermaßen in den Bann zieht.  

Die Buch-Idee wurde vom Haupt Verlag an mich herangetragen. Ich war in der Folge geradezu elektrisiert vom Gedanken, zusammen mit Heinrich Haller und Serge Denis, das Projekt umzusetzen. Vermutlich hätte ich es mir ohne den Impuls von außen nicht zugetraut.

243_Jenny_Steinadler_9783258083612_(c) J. Jenny

David Jenny mit 21 Jahren, beim Beobachten der nebelverhangenen Laubenwand über Ennenda. Hier hatte die Leidenschaft für den Steinadler seinen Ursprung. 
Foto: Jakob Jenny im Sommer 1980

Wie hat sich Ihre Arbeit in all der Zeit gewandelt? 

Vor 40 Jahren waren die Messmethoden noch analog. Wir hatten beispielsweise die Eitemperatur, die wir in Steinadlerhorsten maßen, auf einem Wachspapierstreifen mittels einer feinen Nadel auf einer Papierrolle aufgezeichnet. Heute überwachen wir in Graubünden die Flugrouten von jungen Steinadlern mittels hochauflösenden, solarbetriebenen GPS Sendern, die auch Bewegungsmuster wie ‘Flügelschlagen’ oder ‘Fressen’ übermitteln. Die Hauptarbeit findet heute fast ausschließlich am Computer statt.    

Die technologischen Fortschritte sind enorm und erlauben es heute ein Vielfaches an Forschungsdaten zu generieren. Der Wert der Feldarbeit bleibt allerdings auch heute noch unersetzlich, weil nur dadurch ein faszinierendes Forschungsobjekt wie der Steinadler in seinem Lebensraum mit allen Sinnen erfasst werden kann.    

189_Jenny_Steinadler_9783258083612_(c) G. Largiadr

Ein Nestling im Alter von 50 Tagen wird vermessen und anschließend besendert. Von links: David Jenny, Wildhüter Thomas Wehrli, Kamran Safi (Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie Radolfzell).
Foto: Gianni Largiadèr

 

Noch bis weit ins 20. Jahrhundert wurde der Steinadler dämonisiert und rigoros bejagt - man unterstellte ihm gar Kinderraub. Das hatte zur Folge, dass die Bestände vielerorts zusammenbrachen. Heute ist er in allen alpinen Lebensräumen und auch in Teilen des Juras zu finden. Welche Maßnahmen haben dazu beigetragen?

Ja, es ist eine erstaunliche Erkenntnis, dass sich der Umgang mit dem einst verfolgten Steinadler in relativ kurzer Zeit so radikal verändert hat – zum Positiven. Ausschlaggebend waren die faktenbasierten Forschungsergebnisse, die - beginnend mit den Erkenntnissen des Adlerpioniers Carl Stemmler - mit den Mythen von Kinderraub und vermeintlich enormen Schäden bei Nutz- und Wildtieren, aufräumte. In der Folge erholte sich der Steinadlerbestand in den Alpen vollständig und auch der Jura wurde wiederbesiedelt. Insofern nimmt die heute hohe Akzeptanz des Steinadlers in der Bevölkerung eine Vorreiterrolle ein: für andere große Beutegreifer wie Luchs, Bär oder Wolf bleibt zu hoffen, dass sich auch hier das Verhältnis zur Bevölkerung normalisiert.  

Wir Menschen nutzen die Alpen immer intensiver für Freizeitaktivitäten. Was müssen wir beachten, um die Steinadler nicht zu stören?

Es sind insbesondere die Kinderstuben, also die besetzten Steinadlerhorste, die absoluten Schutz brauchen. Störungen nehmen leider zu. Es braucht hier verstärkte Anstrengungen, alle möglichen Störungen in der Nähe von Brutplätzen möglichst gering zu halten. Dazu gehören unter anderem Helikopterflüge, Forstarbeiten, Naturfotografie an Brutplätzen, militärische Schiessübungen, Gleitschirmfliegen oder Klettern. Es gibt positive Ansätze wie das im Buch erwähnte Horstschutzprojekt des Schweizerischen Hängegleiterverbandes oder Absprachen mit Helikopterunternehmen, dem SAC oder den Regionalförstern. Die Sensibilisierung der Bevölkerung für den Schutz von Brutplätzen – das gilt übrigens für alle Vogelarten - ist eine Daueraufgabe. In unserem Buch geben wir diesem Thema Raum, etwa in dem wir auf Close-up-Fotos an Horsten verzichten und dafür auf Illustrationen zurückgreifen – hervorragend umgesetzt von Lea Gredig.     

167_Jenny_Steinadler_9783258083612_(c) Lea Gredig

Brütende Reviervögel verharren stundenlang fast unbeweglich auf ihrem Gelege. Wind und Wetter oder gar Schneefall scheinen dem Brutgeschäft wenig anhaben zu können. Auf Störungen reagieren die Brutvögel hingegen meist mit Nervosität oder gar Wegfliegen vom Nest.
Illustration: Lea Gredig

Wo, wann und wie hat man eine besonders gute Chance, Steinadler zu erspähen?

Steinadler besiedeln heute den ganzen Alpenraum und Teile des Jura. Hier hat man mit etwas Glück praktisch überall die Chance, sie zu beobachten. Besonders gut sind die Chancen in den Alpen zwischen 1700 und 2600 m Höhe im Bereich von Seitentälern. Es lohnt sich dort, morgens besonnte Hänge oder Felsen nach thermiknutzenden Steinadlern abzuspiegeln. Verständlicherweise sind wir aber sehr zurückhaltend mit konkreteren Hinweisen, etwa über Standorte von Horsten.  

Gibt es ein besonderes Erlebnis mit einem Steinadler, das Sie geprägt hat und das Sie hier mit uns teilen möchten?

Fast alle Begegnungen mit freilebenden Steinadlern sind besondere Erlebnisse – auch heute noch. Etwa der atemberaubende Steinadler- Girlandenflug, der bei mir Glücksgefühle auslöst, nicht weniger als bei der ersten Beobachtung vor mehr als 40 Jahren.

Besonders eindrücklich sind Beuteschläge, die selten sind und nur mit viel Glück beobachtet werden können. Einen solchen Moment erlebte ich vor wenigen Jahren bei Pontresina, als ein adultes Steinadlerweibchen ein fast einjähriges, direkt neben seiner Mutter stehendes Steinkitz schlug, es am Kopf tragend etwa 300 m bis zu einem Schneefeld trug und dort zu fressen begann. Das war ein Eindruck des perfekten Jägers. 

Vielleicht geht die Faszination für den Steinadler ja auch auf unsere eigenen Wurzeln zurück, als wir selber noch Jäger und Sammler waren.

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Der wellenförmige Girlandenflug des Steinadlers signalisiert Artgenossen teils auf weite Distanzen einerseits Revieranspruch und andererseits Fortpflanzungsbereitschaft.
Illustration: Lea Gredig

 

Foto Banner und Anzeigebild: Romano Salis

David Jenny, Jahrgang 1959, hat an der Universität Zürich Biologie studiert und an der Universität Bern mit einer Arbeit über den Steinadler promoviert. Im Rahmen eines Postdocs verbrachte er anschließend zwei Jahre an der Elfenbeinküste, um Leoparden zu erforschen. Bis 2013 unterrichtete er als Biologielehrer an Gymnasien im Engadin und war bis 2023 Mitarbeiter bei der Schweizerischen Vogelwarte, wo er u.a. Monitoringprojekte über Steinadler und Uhu im Engadin und ein Forschungsprojekt über Jungadler leitete. Bei der Stiftung Pro Bartgeier ist er seit 1997 zuständig für das Brutpaarmonitoring in Graubünden.

Serge Denis, geboren 1974 hat nach der obligatorischen Schulzeit eine Monopollehre als Gleismonteur bei der SBB abgeschlossen. Seither und bis zum Abschluss der vorliegenden Publikation ist er seiner Branche treu geblieben und in verschiedenen Führungsfunktionen tätig. Seit gut 1995 widmet er sich in seiner Freizeit der Überwachung und Erforschung des Steinadlers und Bartgeiers im Wallis. Er arbeitet mit der Schweizerischen Vogelwarte und der Stiftung Pro Bartgeier zusammen und ist Mitverfasser verschiedener Publikationen.

Heinrich Haller, geboren 1954, hat an der Universität Bern Zoologie, Botanik und Geografie studiert und an der Universität Göttingen in Wildbiologie habilitiert. Seine Fachgebiete sind die Gebirgsökologie im Allgemeinen und die grossen Wildtiere der Alpen im Speziellen. Heinrich Haller leistete wissenschaftliche Pionierarbeit am Steinader, war von 1996 bis zu seiner Pensionierung 2019 Direktor des Schweizerischen Nationalparks (SNP) und lehrte als außerplanmäßiger Professor Gebirgsökologie an der Universität Göttingen.

Lea Gredig, geboren 1989, wohnt in Samedan und hat an der Universität Basel Biologie studiert sowie an der Zürcher Hochschule der Künste Wissenschaftliche Illustration. Von 2017 bis 2024 war sie als Wissenschaftliche Illustratorin beim Archäologischen Dienst Graubünden tätig und seit ihrer Studienzeit arbeitet sie als freischaffende Illustratorin für botanische, paläontologische und zoologische Projekte. Haupt Verlag in Bern erschienen 2021 ihre Mäusezeichnungen in Die Mäuse und ihre Verwandten, im selben Jahr wurde in St. Moritz bei Gammeter Media das Buch Mäusephilosophie. Die Zeichnungen von Lea Gredig veröffentlicht.

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