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Praxisbuch Gartenagogik: Menschen mit Natur begleiten

Im März dieses Jahres ist das «Praxisbuch Gartenagogik» von Thomas Pfister und Fides Auf der Maur erschienen. Zum ersten Mal werden darin Theorie, Umsetzungs- und Anwendungsmöglichkeiten der Gartenagogik in diesem Umfang aufgeführt und beschrieben.

Im folgenden Beitrag führen wir gezielt ausgewählte Teile des Praxisbuchs auf und möchten so einen kleinen Einblick in das umfassende Werk ermöglichen:
Zuerst klären wir Grundlagen der Gartenagogik sowie die Frage, auf welche Klientel, beziehungsweise in welchen Settings sich die Gartenagogik anwenden lässt. Abschließend setzen wir uns mit dem Spazieren und der Exkursion als typische gartenagogische Anwendungen auseinander.

©Fides Auf der Maur: Gartenagoge

GRUNDLAGEN DER GARTENAGOGIK
Die Gartenagogik möchte Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensqualität erhalten und fördern. Sie stellt einen präventiven Beitrag zur Verhinderung von Krankheiten dar und ist ein Teil des Fachgebiets Green Care, das alle Aktivitäten beinhaltet, welche die Natur, Tiere und Pflanzen gezielt für entsprechende Klient:innen einsetzen.

In der Gartenagogik initiieren und begleiten Fachpersonen mit agogischer und gärtnerischer Aus- und Weiterbildung kognitive, emotionale, körperliche und soziale Lernprozesse mit Pflanzen und Gärten. Das geschieht im professionellen Bereich an geschützten Arbeitsplätzen oder in der Freizeit, sowohl in Gärten oder auch in der Natur. Zielgruppe der Gartenagogik sind Menschen mit einer Beeinträchtigung und Unterstützungsbedarf, die oft in einer entsprechenden Institution wohnen und arbeiten.

Die Gartenagogik greift auf die Methoden der verschiedenen agogischen Berufsfelder zurück und nutzt die vielfältigen Möglichkeiten von Pflanzen, Gärten und anderen Naturelementen. Gartenagogische Programme sind zeitlich begrenzte, gezielt geplante und sorgfältig durchgeführte Aktivitäten im Garten, mit Pflanzen oder natürlichem Material. Sie können mit einzelnen Personen oder in Gruppen durchgeführt werden. Wichtig sind kompetente Leitungspersonen und regelmäßige Aktivitäten während des ganzen Jahres, für Menschen jeden Alters, jeden Geschlechts, mit mehr oder weniger Einschränkungen. Für den Erfolg entscheidend sind zudem eine gute Planung und Vorbereitung, eine geeignete Infrastruktur und eine sorgfältige Durchführung und Dokumentation.

 

©Thomas Pfister

©Thomas Pfister: Lavendelernte

GARTENAGOGISCHE SETTINGS
Meistens wird Gartenagogik in Institutionen praktiziert, weshalb man sinnvollerweise von Settings spricht. Das Setting ist der Ort, wo man lebt und arbeitet. Gartenagogik kann auch «ambulant» betrieben werden. Das heißt, die Gartenagogin oder der Gartenagoge begleitet eine Klientin oder einen Klienten in ihrem privaten Garten oder in der nahen Umgebung. Gerade ältere Menschen in eigenen Häusern sind zum Teil mit ihrem Garten überfordert und könnten von einer gartenagogischen Fachperson bei der Pflege des Gartens unterstützt werden. Das sollte aber nicht eine:n Gärtner: in ersetzen, da es bei der Gartenagogik nicht einfach um den Gartenunterhalt gehen darf. Vielmehr sollte der Garten gemeinsam und gezielt genutzt werden. Mehrheitlich wird Gartenagogik in Institutionen und Einrichtungen für Menschen mit einer Beeinträchtigung angeboten:

  • Menschen mit einer Behinderung: Wohnheim, Wohngruppe und -gemeinschaft, geschützter Arbeitsplatz, Tagesstruktur, Freizeiteinrichtung usw.
  • Menschen im Alter: Alterszentrum/Altersheim, Pflegezentrum/ Pflegeheim, Betreutes Wohnen, Alterswohngemeinschaft usw.
  • Kinder und Jugendliche: Kinderheim, Jugendheim, Wohnheim für Kinder, Kinderdorf, Mutter-Kind-Heim, Einrichtungen für drogenabhängige Jugendliche, Frauen- und Kinderhaus, Kinderspielplatz usw.

Diese Einrichtungen werden von Stiftungen, kirchlichen der freien Trägern sowie von Gemeinden und Städten geführt. Weitere Settings, in denen Gartenagogik praktiziert werden kann, sind z. B. Gefängnisse, Quartier- und Jugendtreffs oder Klöster.

 

DER SPAZIERGANG
Ein Garten bietet dem Gartenagogen oder der Gartenagogin vielfältige Möglichkeiten für geführte Spaziergänge. Der Begriff kommt vom italienischen Wort «spaziare», was wörtlich «sich räumlich ausbreiten» bedeutet. Früher war diese Beschäftigung auf höher gestellte Personen beschränkt und kam erst im 18. Jahrhundert bei den normalen Bürger:innen in Mode. Spazieren ist eine langsame Gangart, ohne dass man dabei ins Schwitzen kommt. Spaziergänge sind auch ideal für Unterhaltungen zu zweit oder in kleinen Gruppen. Im Gegensatz zu Wanderungen haben Spaziergänge oft kein spezifisches Ziel und können auch mehrmals am selben Ort vorbeiführen. Spazieren ist gerade für Menschen, die in einer Institution leben, sei dies ein Alterszentrum oder eine Einrichtung für Menschen mit Behinderungen, eine wichtige Tätigkeit. Ein geeigneter Garten mit Wegen und Sitzplätzen ist dazu ideal. Duftende Sträucher, blühende Stauden oder leckere Beeren locken die Bewohner:innen in den Garten und ermöglichen ihnen, sinnliche Erfahrungen zu machen. Dazu müssen die klimatischen Gegebenheiten vorhanden ein: angenehme Witterung und weder zu kalte noch zu heiße Temperaturen. Mit geeigneter Kleidung kann man mit gewissen Klient:innen auch im Winter oder bei Regen einen Spaziergang unternehmen. Sehr beliebt sind begleitete Spaziergänge im Garten. Der Gartenagoge oder die Gartenagogin nimmt sich 20 oder 30 Minuten Zeit, um mit einer Bewohnerin oder einem Bewohner einen Rundgang im Garten zu unternehmen. Dabei bleibt man bei interessanten Pflanzen oder Tieren stehen und kommt so ins Gespräch.

©Fiona Hofer: Tierspaziergang

Das eine oder andere Blatt kann zum Berühren und Riechen gereicht werden. Vielleicht kann man zusammen sogar einen Blumenstrauß pflücken. Der Spaziergang kann auch mit einer Gruppe durchgeführt werden. Dann müssen genügend Begleitpersonen mitkommen, deren Anzahl sich nach der Art der Beeinträchtigungen bei den Teilnehmenden richtet. Am besten nimmt man sich für einen Spaziergang ein geeignetes Thema vor, angepasst an die Jahreszeit und die aktuellen Gegebenheiten im Garten.

 

DIE EXKURSION
Anders als bei Gartenspaziergängen, die man auch spontan durchführen kann, müssen Exkursionen und Pflanzenwanderungen gründlich vorbereitet werden. Im Buch wird die Herangehensweise sowie die Planung einer Exkursion umfangreich dargelegt und erklärt.

Ein Punkt in der Vorbereitung ist unter anderem die Wahl eines passenden Themas für die Exkursion. Anbei sind einige solcher Themenideen (von A bis Z) aufgeführt. Diese eignen sich für jegliche Settings und Klient:innen aller Altersstufen.

Themensammlung für Exkursionen
Die möglichen Themen für eine Exkursion in die Natur sind fast unendlich. Je nach Teilnehmenden kann es ein sehr spezielles Thema sein wie z. B. die Orchideen im nahe gelegenen Moorgebiet oder auch ein sehr allgemeines wie Wald oder Wiesen. Am besten wird das Thema der Exkursion in einer vorangehenden Sequenz den Teilnehmenden bereits vorgestellt.

Abend

  • Im Sommer die kühleren Abendstunden ausnützen
  • Beobachten von Tieren in der Dämmerung, z. B. Fledermäuse
  • Nachtwanderung mit Stirnlampen

Bäume

  • Baumart herausfinden
  • Alter der Bäume anhand der Jahresringe bestimmen
  • Größe schätzen
  • Blätter sammeln, evtl. pressen
  • Eine Baumschule besuchen

Essbares

  • Essbare Kräuter sammeln
  • Wildfrüchte sammeln, z. B. Schwarzdorn oder Heidelbeeren
  • Samen mit der Becherlupe betrachten

Insekten

  • Insekten auf Blüten beobachten und fotografieren
  • Die Bedeutung von Insekten für die Pflanzen erklären
  • Schmetterlinge und ihre Wirtspflanzen
  • Nützliche und schädliche Insekten

Jahreszeiten

  • Im Frühling Zwiebelpflanzen studieren
  • Im Sommer Wildkräuter für Teemischungen sammeln
  • Im Herbst die Verfärbung von Blättern erklären
  • Im Winter blühende und fruchtende Sträucher zeigen

Nüsse

  • Die Bedeutung der Haselnuss für Mensch und Tier erläutern
  • Walnüsse sammeln und einen Nocino (Nussschnaps) herstellen
  • Bucheckern sammeln und kosten

Orchideen

  • Eine Magerwiese mit Orchideen besuchen
  • Auf den Schutz von Orchideen hinweisen
  • Die speziellen Blüten mit der Lupe studieren

Pilze

  • Die Bedeutung der Pilze erläutern
  • Essbare Pilze sammeln und zubereiten
  • Mykorrhiza-Pilze an Wurzeln zeigen

Quelle

  • Eine Quelle besuchen
  • Das frische Wasser probieren
  • Die Pflanzen der Umgebung studieren

Vogelgehölze

  • Weißdorn (Crataegus) und Schwarzdorn (Prunus spinosa) zeigen
  • Für uns giftige, für Vögel essbare Beeren zeigen, z. B. Hartriegel (Cornus sanguinea)
  • Nistplätze von Vögeln beobachten

Wetter

  • Das Ziehen der Wolken beobachten
  • Eine Wetterprognose wagen
  • Die Bedeutung von Regen aufzeigen Walnüsse

Zapfen

  • Zeigen, wie sich Tanne und Fichte bei den Zapfen unterscheiden
  • Zapfen sammeln und den Bäumen zuordnen
  • Die Früchte von Arvenzapfen kosten

Kenntnisse und Wissen aus diesen und weiteren Gebieten können auf Exkursionen und Wanderungen für Animationen angewendet werden. Besser als Kenntnisse in einem einzigen Spezialgebiet sind allgemeine Erfahrungen zu verschiedenen Themen. Kundig machen kann man sich dazu im Internet oder in der Fachliteratur; zudem sind Kurse und Exkursionen, die man selbst als Teilnehmende:r erlebt hat sehr hilfreich bei der Planung und Durchführung.

©Fides Auf der Maur: Animation mit essbaren Wildkräutern


Thomas Pfister, Psychologe lic.phil., Pädagoge, Gartenagoge, Heilkräuterspezialist, Coach und Supervisor, Buchautor und Kursleiter.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fides Auf der Maur, Klarinettistin mit Konzertreifediplom, Fotografin mit Schwerpunkt Pflanzenfotografie, Töpferin mit eigenem Atelier in Hünibach bei Thun.

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