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Kunst, Buch, Künstlerbuch: Vom Zufall und vom Reiz des Verborgenen

In ihrem neuesten Buch «Kunst, Buch, Künstlerbuch» erkundet die erfahrene Buchbinderin Petra Paffenholz das Thema «Künstlerbuch» und all dessen vielfältige Facetten. Schnell wird klar:

Ein Künstlerbuch ist kein Kunstbuch, kein Buch über Kunst, sondern ein Kunstwerk für sich.

Nach einer Einführung in die Geschichte des Künstlerbuchs stellt die Autorin grundlegende Buchbindetechniken, benötigtes Material und Werkzeug und interessante Buchstrukturen vor. Dabei wird geschraubt und geringelt, gefaltet und geschnitten, geheftet und geleimt bis am Ende Buch und Kunst im eigenen Künstlerbuch zusammenfinden.

Im folgenden Beitrag teilen wir zwei Projekte aus dem Kapitel X-Press Yourself und hoffen, dass Sie darin haufenweise Inspiration für Ihr eigenes Buchprojekt finden.

Doch vorerst nehmen wir Sie mit auf einen kleinen Exkurs in die Welt der Philosophie, genauer gesagt ins Kapitel «Buchphilosophie: Die Möglichkeiten der Intervention»

Die Zutaten für ein Künstlerbuch bestehen aus Formen, Farben, einer Vielfalt von Materialien, der Einbandgestaltung und der Bindung. Eine dreidimensionale Kunstform kann sich hier entfalten.

Das Buch begegnet uns als plastischer Körper, der auf verschiedene Weisen in seinem Erscheinungsbild verändert werden kann. Einige gängige künstlerische Methoden, wie ein Buch zum Künstlerbuch transformiert werden kann, beschreibe ich hier systematisch sortiert und ohne Anspruch auf Vollständigkeit.

Ein Buch ist ein «Container», der praktisch jeder künstlerischen Intention offensteht. Es ist erschwinglich und taugt als Grenzgänger zwischen den Kunstgattungen. Den Buchkörper können wir erfassen, sprich anfassen und beim Blättern verformen. Ein
Buch ist dynamisch und flexibel, kann seitenweise aufgeblättert werden, was eine zeitliche Abfolge beinhaltet. Aufgefaltete Buchseiten können über die ursprüngliche Buchgröße hinauswachsen und den Raum, beispielsweise bei einem Leporello, erobern. Als Daumenkino, wenn Bild oder Text sequenziert rasch vor dem Auge ablaufen, erhält das Buch sogar eine filmische Qualität. Allerdings können bei einem Künstlerbuch alle typischen Buch- Funktionen gänzlich verwehrt werden, wenn
das Medium diese beispielsweise durch Verschnürung oder Verklebungen nicht zulässt. Davon unberührt bleibt aber die haptische, taktile Qualität erhalten, auch wenn sich der Buchkörper zum Objekt gewandelt hat.

Mit seinem typischen Aufbau bietet uns das Buch mehrere Seiten bzw. Flächen an, die wir mit künstlerisch besten Absichten modifizieren können: Von harmlosen spielerischen
Veränderungen am Buchkörper bis hin zu «harmvollen» oder gänzlich absurden Eingriffen lassen sich hier traumhafte Potenziale entdecken. Es gibt so viele Beispiele mit vielen genialen Ideen, weshalb ich Sie wieder einmal zur weiteren Recherche ermuntern möchte.

X-PRESS YOURSELF

Kunstorakel 

Ist Ihnen das vertraut? Sie können sich nicht entscheiden, wie es mit einem bestimmten Projekt, Bild, Buch weitergehen soll? Trotz vielem Grübeln kommen Sie nicht vorwärts. Der Wille zur Gestaltung kann in die Irre führen, wenn der Wunsch nach Harmonie sich in den Vordergrund schmuggelt oder die Angst vor dem leeren Blatt dominiert.
Als Fan von Zufallsverfahren empfiehlt Petra Paffenholz, dem Unbeabsichtigten einen Platz zu geben.

Manch künstlerische Entscheidung
mag anmuten wie die Wahl zwischen
«Himmel und Hölle». Vielleicht hilft Ihnen
ein Zufallsverfahren, auch den Horror
Vacui zu überlisten und mit dem Kunstorakel
mutig ans Werk zu gehen.

Beginnen Sie einen Dialog mit dem Kunstorakel, in dem die Gestaltungskomponenten verborgen sind. Der Zufall kann Werken zu ungeahntem Potenzial, zu überraschenden Kombinationen verhelfen. Forschen Sie und erobern Sie unbekanntes Terrain: Ars Incognita.

Eine Anleitung, wie Sie ein solches Orakel falten, finden Sie hier nachfolgend:

In die einzelnen Faltobjekte schreiben Sie sich jeweils einen formalen Gegensatz hinein, der zu Ihrer Tätigkeit passt. Das Orakel lässt sich ja nur «entweder – oder» öffnen. Sie stellen sich die Frage, das Orakel gibt die Antwort, und Sie fühlen, ob das so seine Richtigkeit hat. Hier ein paar mögliche Eintragungen in das Orakel:

Formale Kontraste:
Position Mitte – Position Rand
Linie – Fläche
groß – klein
grob – fein
ruhig – bewegt
vertikal – horizontal
vergrößern – verkleinern
dick – dünn
Querformat – Hochformat

Farben:
warm – kalt
hell – dunkel
bunt – unbunt

Wem das Kunstorakel noch nicht alle nötigen Antworten gegeben hat, möchte es anhand von Cutouts vielleicht einmal mit dem Wechselspiel von Zeigen und Verbergen probieren. Das folgende Projekt von Petra Paffenholz liefert sicher die nötige Inspiration:

Cutout

Inspiriert von der grafischen Struktur der Machiya-Häuser in Kyoto, die sich entlang des Kamo-Flusses reihen, fertigte die Autorin dieses Leporello. Sie ging folgendermaßen vor: Ihre dort entstandenen Fotos druckte sie auf einem glatten, weißen Papier von 190 g/m2 aus. Die Machiya-Häuser mit den dahinterliegenden Silhouetten moderner Gebäude haben bereits eine sehr grafische Anmutung, die sich zur Entwicklung abstrakter Formen anbietet.

Durch das Ausschneiden einzelner
Partien eines Blattes ist der Durchblick auf
die folgende Seite gegeben. Dies macht den
Reiz aus in der Interaktion zwischen einem
Verbergen und Aufdecken.

Durch Herausschneiden einiger Rechtecke entstand je Ausdruck eine Schablone, die sie wiederum auf verschiedene Papierqualitäten übertrug. Erneut als Vorlage zum Ausschneiden genutzt, entstanden so die einzelnen Seiten für das Leporello. Durch die sich überlagernden Blätter ergeben sich abwechslungsreiche, variantenreiche Durchblicke. Legen sich immer mehr Lagen übereinander, bis zur Verdichtung, geht die Leichtigkeit über zum Undurchdringlichen.

Fotos: © Petra Paffenholz
Text: Adaptiert aus «Kunst, Buch, Künstlerbuch»


Petra Paffenholz ist freischaffende Künstlerin. Nach dem Studium der Freien Kunst an der Werkkunst-hochschule Köln und einer Zusatzausbildung in Kunst- und Textilgestaltung für die Sekundarstufe I war sie lange Jahre freiberuflich tätig. Sie arbeitete als Kostümbildnerin und Maskengestalterin im Film- und Theaterbereich, als Illustratorin von Kinder- und Schulbüchern sowie als Dozentin für unterschiedliche Kunst- und Kreativitätsprojekte an Schulen und anderen öffentlichen Einrichtungen.

www.petra-paffenholz.de

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